Transkription eines Textes von Esther Weinstein.
(Nachlass Benjedid. Wahrscheinlich 1947.)
Ein Jäckchen von Bedeutung
Ich frage Georges, ich frage Moritz und ich frage Mia: Wozu ein Name? (Ah, da sind sie, ihre Namen!) Damit ich Dinge auseinanderhalten kann, wenn ich nicht auf sie zeigen kann. Damit ich mich in ihrer Abwesenheit auf sie beziehen kann. Wenn ich mich Somnatistin nenne, gebe ich mir einen Namen – ich streife mir eine Bedeutung über, die vorher festgelegt wurde. Wozu ist das gut? Keiner von uns ist interessiert an Nachruhm. Was jetzt passiert, ist allein unser Leben. Was tue ich also mit diesem Namen, mit diesem Jäckcken von Bedeutung? Soll ich auf der Straße einen mir völlig unbekannten ansprechenund ihm sagen: „Ich bin Somnatistin!“ Was wird dann geschehen? Bei einem ist egal, was geschieht. Aber was wäre, wenn ich ein Dutzend anspreche? Hundert? Und ihre Antworten aufzeichne und nebeneinanderstelle, kommentarlos. Dann wäre das Gefäß des leeren Namens gefüllt mit Zufall; die vielen Zufälle würden eine Gestalt ergeben, wenn sie gesammelt würden. Die Welt wäre gezwungen, zu antworten, wenn ich unseren Namen sage: Somnatisten. Ich gebe den Widerstand auf und nenne mich nun auch Somnatistin. Ein Name mehr oder weniger kann nicht schaden; vor allen Dingen, wenn er niemanden zu etwas zwingt. Und ein Jäckchen kann man jederzeit wieder ausziehen, auch ein Jäckchen von Bedeutung.