Die Gedichte der Somnatisten
 
 
 
 
 
 
 
Ein Gedicht von Moritz v. Bamsell:
 
 
 
 
Das Himmelsseil
 
 
Ein Seil zum Himmel hinauf
An dem die Welt hängt
Fest verankert in den Träumen
Aller Geschöpfe, die je die Sonne erblickten
 
Hinauf und immer höher
Und nie das Seil angerührt
Es soll dich führen, doch halten
Halten kann es dich nicht
 
Alles vergessen, jeden Halt verschmähen
Das Leben verlieren, um es zu gewinnen
Ein Seil zum Himmel hinauf
An dem die Welt hängt
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Gedichte von Georges Latours:
 
 
 
Dem süßen Scheitern
Dem süßen Scheitern entgegen
Reckt sich meine Seele
Dem süßen Scheitern
Das uns leben läßt  
 
 
 
BARTOK
 
Hart und klar wie Glass
kein süssliches Zittern
Schweben - aber fest an die Hand genommen
Keiner weiss den Weg im voraus
Der Pfad ändert ständig die Richtung
Und die Füsse berühren den Boden nicht
Dämpfe steigen auf, die doch nicht betäuben
Man kann sehr weit sehen
Und lacht über das armselige Häufchen Kokain
Das er nicht gebraucht hatte um so messerscharf zu sein
 
 
 
PUER SOMNABAT
 
Eine Tür die sich öffnet
Gerade weit genug
Um Nebelfäden einzulassen
Die den Raum ausfüllen
Angst vor Geistern
In winzigen Zwischenräumen
Ein Lumpenzug und in der Mitte ein Schrein
Was mag wohl darin sein?
Eine Katze
 
 
 
VIELSEITIG VERWENDBAR
 
Und sie wird mich-
liebenschlagenTonverlogenbeachten
Wir werden uns-
hasstgeträumtZielSchläfer
Daher der aufgeregte-
liebenschlagenTonverlogenbeachten
Vielleicht ein wenig zu-
hasstgeträumtZielSchläfer
Und doch nicht weiter zu-
liebenschlagenTonverlogenbeachten
die Dinge die man-
hasstgeträumtZielSchläfer
Je mehr-
liebenschlagenTonverlogenbeachten
Desto weiter weg das-
hasstgeträumtZielSchläfer
Schleich dich nicht davon
 
 
NÄHE
 
Das Bild wird immer unschärfer
Und an den Rändern ausgefranst
Das Bild wird immer körniger
Die Linie wird unendlich lang
Die Instrumente werden immer feiner
Und dringen tiefer ein
Doch sind sie erst im Zwischenraum
Ist nichts mehr da, kein Kern, kein Wesen
Was dieses Bild zusammenhält
 
 
DER SOMNATIST
 
Er stiehlt die Einzelteile
Und setzt sie neu zusammen
Ein kleines Ding fällt um
Und reisst ein anderes mit
Er spielt mit einem Gummiball
In einem Raum mit harten Wänden
Ein Feuer knistert
Er fängt den Funken ein
Und legt ihn aufs Podest
Wo er dann von neuem verglüht
 
 
 
ZUFALL
 
Der Zufall ist ein strahlender Held
Der auf den Schultern eines Blinden
In die Schlacht reitet
Im Getümmel wahllos um sich schlägt
Einen ungeheuer langen Namen hat
Und nie einen Grund angeben muss
Für das was er tut
 
 
 
Bertrand Russells Tisch
 
Ein sehr langer Fisch
Ein sehr langer Tisch
In einem sehr langen Traum
Die Menge aller Gedanken
Ist ein Gedanke
Die Menge aller geträumten
Tische
Ist ein Traum
Ein sehr langer Traum
Alle essen mit Messer und Gabel
An Bertrand Russells Tisch
 
 
 
Das Sonnenauge
 
Gleichgültig
Und gleißend hell
Unbeweglich
Und trotzdem pulsend
Bewacht es
Die geronnenen
Schätze
Die nie zu etwas dienten
Außer ihre Schöpfer
Zu erhöhen
Und ihrem Publikum
Demut abzuverlangen
 
 
 
Der Pfad
 
Ein Irrer auf seiner seltsamen Insel
Alles ist so wie es ist für ihn
Nichts ist Metapher
Alles ist ein erstaunliches Ding
Sein Weg ist ein imaginäres Labyrinth
Seine Spur folgt den Straßen einer Traumstadt
Er schlägt einen neuen Pfad
Durch das Unterholz der Gedanken
Aus der Luft betrachtet ein verschlungener Kurs
Seine Stadt liegt im Urwald
Gleich neben der unseren
Er lacht wenn unsere Pfade sich kreuzen
Zurecht
 
 
 
Sand
 
Verrinnt als Zeit
Erstickt als Last
Verweht als Berg
Schleift die spröde Haut
Bis auf die Knochen
Durch den Sand in die Brandung
Bis der Kopf bedeckt ist
Und die Abdrücke
Von den Wellen verwaschen
 
 
 
Der Traumhändler
 
...Lebt in einer kleinen Hütte,
In die alle Welten passen
Die alle sich vorstellen können
Oft ist der Traumhändler durcheinander
Und dann bezahlt man viel zu viel für einen
Banalen Traum oder bekommt ein gigantisches
Szenario für ein Trinkgeld an Erfahrungen.
 
 
 
 
Ein Rauschen ein Raunen
Das immer sich hält
Auch wenn kein Laut
An deine Ohren dringt
Die schnelle Bewegung
In den Augenwinkeln
Ein Flattern ein Zittern
Ein hektischer Schritt
Eine unendliche Menge
Von dunklen Tunnels
Bilden ein Labyrinth
Und jeder glaubt
Dass er an seinem Ziel
Schließlich ankommen wird
Und in ein flirrendes Licht tritt
 
 
 
 
So schön sie ist
Sowenig sieht man je das Schöne
Man sucht den feinen Pinselstrich
Und findet nur den Punkt
Der keinerlei Bedeutung kennt
Tritt man zurück und sieht sie wieder
Als ganzes, als geschlossene Gestalt
Dann schließt die Faust sich und die Zähne malmen
So schön ist sie
 
 
 
Ein Bild, nicht zu beschreiben
Gekritzel und dennoch von Gestalt
Ein Ton, nicht zu beschreiben
Kein Wohlklang und doch von Harmonie
Ein Geruch, nicht zu beschreiben
Kein Parfum und doch ein Duft
Am Anfang war Verblendung
Und jetzt ist‘s Liturgie
 
 
 
Ein Gebet
 
An- und abschwellend
Raunend, Murmelnd, Schreiend
Die Wiederholung – jeden Laut kennend erkennend
Die Nuancen werden feiner mit jeder Übung
Das Sehnen wird tiefer mit jedem Wort
Schließlich ist es ein Gesang, der sich erhebt
Ein tiefer, weicher Ton
Auf immer hörbar, vibrierend
Man wird davon getragen, wie auf Händen
Immer, überall
Zärtlich umfaßt mich die Faust aus Klängen
Und zerdrückt mich.
 
 
 
Voodoo
 
Der Priester senkt
Die Nadel in die Puppe
Aus schwerem Schlaf
Erwachst Du plötzlich
Taumelst mit schmerzverzerrten Zügen
Durch die flirrend hellen Straßen
Und ganz als sei gar nichts geschehen
Zieht man den Hut vor Dir
 
 
 
Die Straße riecht nach Herbst.
Ich drehe mich nach einer Frau um.
Die Blätter fallen.
Ich drehe mich nach der nächsten um.
Und die Straße riecht nach Herbst.
Immer noch.
 
 
 
Ich träume von einer Parade des Behelfsmäßigen,
Ein Fest des Unfertigen, das alle genießen
Und keiner zum Werk erklärt.
 
Ein Fest, das alle trunken macht und das
Vollkommen unbedeutend ist.
 
Ich träume von einer Parade von träumenden Strauchdieben
Die selbst zum Schlafen noch zu müde sind,
Deren klappernde Zähne den Takt schlagen.
 
Von verwunderten Bürgern, die ängstlich hinter ihren
Vorhängen hervorlugen und die
Parade des behelfsmäßigen Lebens,
den Rausch des Provisorischen
Verständnislos und entrüstet begaffen.
 
Der Chor unseres Lumpenzuges schwillt an;
1000 heisere Kehlen, die das Leben
Von der Hand in den Mund feiern
Und lachend das kurze Aufblitzen
Ihres Lebens für sich behalten und wissen
Daß es keine besonderen Vorkommnisse gibt.
 
 
 
An der Schnur gezogen
 
Den Bauch verlassen;
Wie ein Pfeil, der von der Sehne schnellt.
Ein Pfeil, der im Fluge
Sich zu Staub verwandelt,
Noch eine Weile
Seine Form behält,
Dann zu Boden rieselt als Erinnerung.
Und nichts kann das ändern.
Flieg, Pfeil, flieg!
 
 
 
 
 
Esthers Weinsteins Gedichte:
 
 
 
WÜRDE
 
und wollen Sie mich fragen
Was ist Würde?
So sage ich Ihnen
Es ist eine leere Tafel inmitten der Wüste
deren Reflektionen
bedingt durch das Sonnenlicht
so stark sind
dass man nur noch den Glanz sieht.
 
 
 
Der frühe Morgen
zweifach getäfelt
das weisse Leinen umspannt
ein Glas mit knochigen Fingern